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Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt: Herausforderung für die Zukunft?

Unter diesem Motto fand am 13. Oktober 2010 im Sophiensaal des Bayerischen Landesamtes für Steuern in München eine Veranstaltung der Psychotherapeutenkammer Bayern (PTK), Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit, AOK Bayern, BKK Landesverband Bayern, LMU München Institut für Sozial-und Umweltmedizin und der Verband der Bayerischen Wirtschaft e.V. statt. Vizepräsident Dr. Münsterer überbrachte dem Präsidenten der PTK, Herrn Dr. Melcop, in Vertretung von Präsident Prof. Mantel die Grüße der BayerischenTierärzteschaft.

In seiner Eröffnung wies Dr. Melcop auf die massive Zunahme von Krankschreibungen wegen psychischer Störungen, um immerhin 25% mit zunehmender Tendenz, hin. Ebenso sei der diesbezüglich hohe Anteil von Frühverrentung beachtlich. Positiv zu werten sei immerhin das erweiterte Wissen von psychischen Zusammenhängen und Erkrankungen am Arbeitsplatz. Neben körperlichen Belastungen seien eben gerade psychische Belastungen ein entscheidender Faktor. Ferner darf man die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes nicht unterschätzen. Ganz wesentlich sei neben dem Erkennen des Krankheitsbildes die umgehende Hilfestellung.

Alle Vorträge hier wiederzugeben ist unmöglich. Aber erlauben Sie mir einige Anmerkungen zum Referat von Dr. Beate Schulze, Zürich, über „Burn Out“, da dieses Krankheitsbild auch uns Tierärzte betreffen kann.

Zwischen Anforderungen und Ressourcen des Körpers sollte eine Balance bestehen. Diese Balance beizubehalten wird immer schwieriger. So hat die Produktivität pro Arbeitsstunde hat seit den 1960zigern gewaltig zugenommen. Desweiteren hat jeder zweite Angst um seinen Arbeitsplatz, was wiederum zu Stress führt. Jeden Fünften macht außerdem die Arbeit krank und immer häufiger führt Stress zum sog. Burn Out. Drei Ebenen sind für Burn Out verantwortlich:

  1. Körperliche Mattheit, die zum Verlust körperlicher Energie führt

  2. Kognitive Ermüdung, in deren Folge mentale Energie abgebaut wird

  3. Emotionale Erschöpfung, mit dem Gefühl emotional matt zu sein

Energieverlust entsteht durch hohe berufliche Anforderungen bzw. Ansprüche und geringe Selbstentscheidungsmöglichkeiten im Verbund mit minimaler sozialer Unterstützung aus dem Arbeitsumfeld, was zu negativem Stress führt. Neben diesem negativen Stress gibt es analog natürlich auch einen positiven Stress. Positiver Stress beinhaltet zwar ebenfalls hohe Anforderungen, jedoch verbunden mit einem hohen Selbstentscheidungsgrad und im Zusammenspiel mit hoher sozialer Unterstützung. Nun, es gibt sechs strategische Bereiche, die bei Burn Out in Frage kommen:

  1. Arbeitsspielraum

  2. Handlungsspielraum

  3. Anerkennung

  4. Gemeinschaftsgefühl

  5. Gerechtigkeit

  6. Werte

Diese sechs strategischen Bereiche sind wichtig für die mentalen Energieressourcen. Defizite in o.a. Bereichen und mangelnde Ressourcenschonung führen nicht selten zur Imbalance und so zu Burn Out. Wichtig sind also soziale Anerkennung im Beruf und hohe individuelle Gestaltungsmöglichkeiten. Sehr häufig werden aber Ich-Stärke verbraucht und mentale Energieressourcen erschöpft. Der Trend zu schneller, höher, weiter, stellt eine gefährliche Gratwanderung dar zwischen beruflichem Erfolg, Wohlstand, gehobenem Lebensstil und sozialer Isolation, psychischen Erkrankungen und beruflichem Misserfolg. Unter diesem Aspekt wird wohl in Zukunft die Diskussion über psychische und psychosomatische Erkrankungen an Bedeutung gewinnen. Nicht zu vergessen, führen derartige Gesundheitsstörungen wesentlich stärker zur Inanspruchnahme des Versorgungssystems in einer Linie mit gravierenden negativen sozialen Folgen. Spürbar wird sich in Zukunft auch die Ressourcenlimitierung sozialer Sicherungssysteme auf Gesellschaft und Volkswirtschaft auswirken, wenn sich die Volkskrankheit „Burn Out“ in so rasantem Tempo ausbreitet, wie gegenwärtig.

Ganz entscheidend zur Problematik Stress trägt der Faktor Zeit bei. Hierzu referierte Prof. Dr. Kh. A. Geißler in einem beeindruckenden Vortrag, den ich gekürzt und durch eigene Erfahrungen modifiziert wiedergeben möchte. - Durch knappe Zeit steigt der Druck auf Psyche und Körper. Aber was ist Zeit? Zeit ist Zeit, selbstverständlich, aber eine allgemeinverbindliche Antwort hat man bis heute nicht gefunden. Man kann Zeit mit einer Uhr messen, was man jedoch genau misst, ist uns weitestgehend unbekannt. Robert Walser hat es einmal so formuliert: „Die Zeit streicht so gedankenlos dahin, nur der Mensch macht sich Gedanken“. Im Grunde ist die Suche nach der Zeit, nichts anderes, als die Suche nach dem Glück, nach dem guten Leben in einer versöhnten Welt. Wir suchen also nicht die Zeit, sondern wir suchen uns selbst. Der Mensch hat keinen treueren Begleiter als die Zeit. Sie begleitet ihn durchs Leben, vom ersten bis zum letzten Atemzug. Zeit wird erst begreifbar und in Umrissen verständlich, wenn man sich Gedanken über sie macht. Macht man sich aber ernsthaft Gedanken über die Zeit, so verliert man rasch die Uhr aus dem Auge, was wiederum beweist, dass die Uhr etwas ganz anderes ist als die Zeit. Der Mensch ist u. a. deshalb ein einzigartiges Wesen, weil er unter allen existierenden Geschöpfen versucht, Zeit zu sparen. Menschen können sich im Gegensatz zu Tieren, bewusst für oder gegen das Zeitsparen entscheiden. Betrachtet man, was bei den Zeitsparanstrengungen herauskommt, dann wundert es schon ein wenig, wie viel an Zeit die Menschen dafür aufwenden. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass der Zeitdruck größer wird, je mehr Zeit gespart wird. Nicht auszuschließen ist es, dass der Mensch weniger Stress und mehr Zeit hätte, wenn er weniger und seltener Zeit sparen würde. Was aber macht der Mensch? Er managt, organisiert und verplant die Zeit. Diejenigen aber, die vor ihr zu fliehen versuchen, scheitern. Man kann der Zeit nicht entfliehen, es sei denn durch den Tod. Zeit ist nun mal eine Sache von Leben und Tod. Nach Einstein ist Zeit „eine hartnäckige Illusion“, was Tolstoi eine „Illusion des Lebens“ nannte. Theologen sehen in der Zeit „den Anlauf zur Ewigkeit“, Psychologen „ ein Empfinden ohne Sinnesorgan“. Ökonomen wiederum behaupten „Zeit sei Geld“ und deshalb ein „wichtiger Rohstoff“. Wir sehen der Begriff Zeit bleibt rätselhaft, geheimnisvoll. Und doch ist für uns die Definition der Ökonomen wichtig, da „Zeit ist gleich Geld“ psychischen Druck auf die Arbeitnehmer aufbauen kann. Man versucht die Zeit durch ein Regulat, die Uhr, zu definieren. Daraus resultiert das Maß der Uhrzeit dem sich alles zu unterwerfen hat. Damit kann man zwar leben, aber ob man damit gut leben kann, steht immer wieder zur Debatte. Es entwickeln sich Regeln für den Umgang mit der Zeit, speziell für die Arbeitszeit. Das Resultat sind Arbeitszeitgesetze oder Tarifverträge. Schon Benjamin Franklin erkannte Regularien für die Zeit, die er in die Forderung „Time is money“ umformulierte. Als späte Folge dieser Forderung driften wir in den heutigen Zeitnotstand. Paralleltätigkeiten, Multitasking lassen sich nur schwer mit der Uhrzeit koordinieren und kontrollieren. Heute wird die Uhr mehr und mehr vom Mobiltelefon oder Computer abgelöst. Damit aber beginnt die Zeit zu „rasen“, der Druck auf den Menschen wächst. Belege für die Vergleichzeitigung gibt es im Alltag immer häufiger. Diese sog. Simultanten sind Menschen die gleichzeitig telefonieren, ihre Mails lesen und noch zugleich den Drucker füttern. Die Wohnung wird nur noch verlassen mit Mobiltelefon, Laptop und iPod. Gleichzeitiges Essen und Arbeiten entwickelt sich zur die Norm. Multitasking ist also am ehesten der Name für die technische Ausstattung der Vergleichzeitigungsgesellschaft. Am extensivsten hat das Multitasking in der Arbeitswelt Einzug gehalten. Die gute alte Zeit ist vergangen und man wird die Entwicklung der Zeitverdichtung nicht zurückdrehen oder aufhalten können. Zu viele Personen und Gruppen profitieren davon. Und dennoch, es gibt auch andere Zeitqualitäten, die es gilt zu nutzen. Dazu gehören z.B. Pausen, das Innehalten, das Warten oder die Langsamkeit. Von diesen Zeitqualitäten darf der Mensch nicht lassen oder sie der Beschleunigung opfern. Dies führt unweigerlich in Stress oder Burn Out mit den bekannten Folgen. Trotz dieses Wissens leben wir immer noch schneller, was jedoch nur noch mehr Zeit für die Zeit beansprucht. „Tempo“ ist der Gott in der Arbeitswelt, wodurch wir hoffen immer reicher und wohlhabender zu werden. Im Endeffekt scheitern wir aber an dieser „Schnellzeit“, da die Lebenszeit endlich und irdisch ist und wir diese irdischen Reichtümer zurücklassen müssen. Also wäre es gut, wenn wir begreifen würden, dass wir selbst die Zeit sind und diesen Zeitbegriff auch nicht ändern können. Wir haben also nicht Zeit, weil wir die Zeit sind. Diese Tatsache zu ignorieren bringt etliche Probleme mit sich. Versuchen wir ein Gefühl für den günstigsten Augenblick zu entwickeln. Lernen wir mit den unterschiedlichen Zeitqualitäten und der Zeit prinzipiell produktiv umzugehen. Nehmen wir uns Zeit für Pausen, Langsamkeit, Warten etc. Eine Pause zur rechten Zeit bringt uns evtl. auch ökonomisch weiter, als hektisches mit Stress geprägtes Gewürge. Und noch etwas, nicht die Schnellen und die, die immer überall sein wollen, treffen immer den rechten Zeitpunkt. Sie sind auch nicht unbedingt schneller am Ziel, aber schneller am Ende (Burn Out). Kümmern wir uns also mehr um die Vielfalt der Zeit und die Zeitqualität (Pausen), die nicht in Handys oder Computern steckt!

Dr. Paul Münsterer


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